Glücklicherweise habe ich die Bücher von Judith Kerr nie in der Schule gelesen – was eigentlich weniger etwas über die Qualität meines damaligen Deutschunterrichts aussagt, sondern wohl eher etwas über meine derzeitige Verfassung, Bücher, vorzugsweise über Pferde, Indianer und Ritter, später dann Raumschiffe und Paralleluniversen als lebensnotwendigen Lebensinhalt meines jungen und empfänglichen Seins aufzufassen.
Bis heute unvergessen die barsch-freundliche Bibliothekarin aus Karlshorst (und ihre späteren Nachfolger der Amerika Gedenkbibliothek, quasi in den Neunzigern eine Art zweites Zuhause) mit der z.B. sehr freundlich formulierten Aufforderung, die Bücher doch bitte rechtzeitig und vollständig abzugeben, ach und ohne Knicke und Eintragungen … ja doch.
Ja.
Denn da ist es wieder, mein damaliges Gefühl beim Lesen dieses ersten Bandes der Trilogie „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“. Ich glaube, ich las es 1990/91 das erste Mal. Dieses stark empfundene Traurigkeit und die fast schon herbeigesehnte Wehmut – ähnlich übrigens später bei dem nicht minder eindrucksvoll geschriebenen Roman des amerikanischen Autoren Myron Levoy „Der gelbe Vogel“/“L’oiseau jaune“ aus dem Jahr 1977, interessanterweise nur wenige Jahre später veröffentlicht als die Trilogie von Kerr.
Ich frage mich, wieviele solcher „Jugendbücher“ gibt es heute, die dermaßen stark berühren und nicht mehr loslassen, ein Leben lang. Die so einzigartig und ohne falsches Pathos das Thema Nationalsozialismus aus Sicht der Kinder zu schildern vermögen?
Ich weiß es offengestanden nicht.
Kleiner Zeitsprung ins Heute: nämlich hin zu den derzeit stattfinden Jugendweihen, bei denen ich als Cellistin auf der Bühne sitze, ab und zu den Bogen schwinge und mir in den Pausen wohlfeil abgelesene Reden aus dem Internet anhöre, aus den unaufgeregt geschminkten Mündern aufgeregt geweihter Jugendlicher, geschrieben von Erwachsenen für Jugendliche.
Und genau in solchen Momenten ertappe ich mich bei der Frage, ob diese wunderbar jungen und ahnungslosen Vierzehnjährigen wohl jemals etwas über Anna und ihrer Familie gehört bzw gelesen haben. Oder mit Alan und Naomi heimlich das Modellflugzeug auf dem stillgelegten Flugplatz haben fliegen lassen … ob sie wohl?
Ich würde es mir wünschen, diese Gewissheit, dass diese Bücher, die mich damals bis ins Mark getroffen haben, heute immer noch ihre Wirkung entfalten.
Dass sie gelesen werden.
Denn die Annas und Alans und Naomis dieser Zeit haben es verdient.
Danke Judith Kerr, danke Myron Levoy.
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