Müll. Dieses wunderbare Land Vietnam ertrinkt förmlich in seinem Müll, insbesondere seinem Plastikabfall. Das muss jetzt einfach mal raus. Das Müllproblem in diesem Land ist auch keine wirklich neue Tatsache, aber als europäischer Tourist direkt damit vor Ort konfrontiert zu werden, egal, wohin man schaut, ist und bleibt eine schockierende Tatsache. Ich hab dazu mal ein bißchen gegoogelt. Und die Infos sind erschreckend. Knapp 90%! des des Plastikmülls wird in Vietnam unsachgemäß entsorgt. Getoppt wird Vietnam nur noch von Kambodscha, nach Hörensagen auch Nordkorea, Burma und Bangladesh, um nur mal die Top Five zu nennen. In Gesamttonnen bleiben die USA und China selbstredend unangefochten an der Spitze, ist hier aber auch schwer im Kontext zu nennen. Ein Umweltbewusstsein findet man schwer in Vietnam, die Leute hier haben andere Probleme. Es gibt immerhin schon einige Anstrengungen diesbezüglich, aber weder Infrastruktur noch Politik lassen hier in den nächsten Jahren eine Veränderung erwarten.
Seit zwei Tagen sind wir in einem kleinen süßen Hotel namens Kim Village in Mui Né untergebracht. Eine wunderbar ruhige Hotelanlage samt Swimmingpool und halbüberdachter Duschanlage, zwischen Waschbecken und Dusche rankt sich ein großer Gummibaum und hinter dem Zaun scheint ein übereifriger Hahn seinen Stammplatz zu haben. Dieser gutgelaunte Kerl hat die Angewohnheit, pünktlich nachts um halb drei loszukrähen. Ab und zu auch tagsüber, sogar jetzt, wo ich gerade am Laptop sitze. Er übertönt mit seinem Timbre locker die Geckos hier draußen und ich habe den Verdacht, dass mir was in den kommenden Nächten fehlen wird. Wie auch immer, ich wünsche ihm ein hoffentlich langes und erfülltes Leben;-)
Der gewaltige Bauboom hier an der südchinesischen Küste ist beim heutigen Tagesausflug gut zu beobachten. Ein Resort reiht sich ans nächste. Fünf Sterne Anlagen mit obligatorischem Absperrzaun, überall halbfertige Baustellen. Baustellen. Ach ja. Uns Berlinern zumindest nicht unbekannt. Aber hier hat das eine ganz andere Dimension und ich mag mir nicht vorstellen, wie dieser Küstenstreifen in sagen wir mal zehn Jahren aussehen wird. Ob sich dann Einheimische hier noch einen Urlaub leisten können, bleibt dahingestellt. Längst schon sind die Speisekarten der eingängigen Touristenrestaurants an der Küste, die mit frischem (Plaste)Fisch werben, meist auf russisch, deutsch! und nur noch ab und zu auf vietnamesisch verfasst. Leider wie zu erwarten ist es in diesen Restaurants sehr schwer, frisches einheimisches Essen zu bestellen. Klar flieg ich fast 10.000km, um hier Burger und Fritten zu essen. Aber nicht zu ändern. Es gibt gottseidank genug kleine Restaurants, in denen man kulinarisch auf seine veganen Kosten kommt. Es bringt auch nichts, den freundlichen Kellnern erklären zu wollen, dass man eigentlich am liebsten deren Speisen ausprobieren möchte. Sie lächeln freundlich und verweisen auf Bier und Pastakarte. Man will sich ja als höflicher Gastgeber anpassen und den Pauschaltouristen mit schmalem Geldbeutel (zu denen ich ja auch gehöre) sein gewohntes schweres fettes Essen servieren. Also heisst es eben Ausweichen auf kleine versteckte aisiatische Restaurants.
Wir sind unterwegs an der Küste und sausen landeinwärts vorbei an den Roten Sanddünen, die wir bei Sonnenuntergang rückwärts nochmal ansteuern (leider bewölkter Himmel und kein malerischer Sonnenuntergang, wie ich ihn mir insgeheim wünsche). Aber jetzt gerade scheint die Sonne und ein farbenfrohes Motiv reiht sich ans nächste. Ob wohl ich gar nicht so ein Fan von wolkenlosen katalogstereotypen Sommerfotos bin. Dramatische Wolken reizen mich viel eher. Unser gemieteter Jeep samt Fahrer knattert unbekümmert über die Straßen. Eine steife Brise weht zu uns herein, herrlich erfrischend. Wozu eine teure Klimaanlage? Können sich die Einheimischen eh nicht leisten und es reicht auch völlig aus, wenn man auf Fenster verzichtet. Ist hier DAS ultimative Kühlungssystem. Und es funktioniert. Nebenbei erwähnt, ist das ein perfekter Umstand für Schnappschüsse auf der Straße. Ich halte die Kamera aus dem Fenster und erwische tatsächlich ein paar Mopedfahrer. (Was beim Fotografieren – also NACH dem Auslösen! – sehr hilfreich ist: winken. Das wird meistens immer sofort erwidert, egal, in welcher Situation. Wie oft ich jetzt schon fremden Leuten zugewunken habe, geht auf keine vietnamesische Kuhhaut.) Aber hier hab ich keine Hemmungen mehr und ich muss zugeben, dieses royalmäßige Herumwedeln mit Armen und Händen macht einfach Spass.
Als eine laut blökende Rinderherde die Straße überquert und wir anhalten, springe ich mit der Kamera aus dem Jeep und mache ein paar Aufnahmen. Meine Freunde im Jeep warten geduldig, Losfahren bringt grad eh nix und wir haben Zeit. Der Rinderhirt bahnt sich dicht neben mir seinen Weg und schreit auf die Tiere ein. Diese aber haben ihr eigenes Tempo und eigenen Kopf und laufen gemächlich weiter. Ein mageres Rind neben mir rupft noch schnell auf Vorrat ne Runde dürres Gras und zockelt dann gemütlich zu den anderen. Ich bin fasziniert.
Wir fahren weiter und genießen die Aussicht. Bei einem gefühlten Tempo von ca. 45 km/h und frischem Wind ist es wahnsinnig angenehm. Die Fahrt dauert dann nicht mehr lange, bei einer kleinen Raststätte irgendwo im Nirgendwo machen wir halt und ruhen uns aus, während sich unser Guide um Benzin und Kühlwasser kümmert. Ich nutze die Zeit und laufe einfach los. Vor uns und hinter mir ist nichts, nur die lange Straße. Ein paar Mopeds, ein paar Busse, das wars dann. Route 66 in Vietnam. Was gäbe ich jetzt für einen Mietwagen oder meinen Stewart, der zu Hause auf mich wartet, ich habe große Lust, einfach weiterzufahren, bis ans Ende der Welt. Einfach so. Das Gefühl, unterwegs zu sein, man gewöhnt sich so schnell daran. Aber die Realität holt mich ein. Zwei Speicherkarten sind voll und ich habe nur noch einen Ersatzakku in der Tasche. Ich starre panisch auf mein Kameradisplay und drehe um. Bloss schnell zurück zum Auto. Datensicherung geht eben vor. Ich verzichte heldenmütig aufs Reisen bis ans Ende der Welt und reduziere meine bescheidene Hoffnung darauf, dass der verbleibende Akku noch wenigstens bis zum Abend hält. (Was er auch tut – Olympus baut einfach sensationell gute Akkus, sollte hier mal erwähnt werden.) Der Jeepfahrer winkt uns zu, sein Motor ist wieder gekühlt und wir können weiter.
Zurück in Mui Né suchen wir ein Restaurant an der Küste, Lac will unbedingt mit uns am Meer essen. Und er bestellt ein wahres Festmahl. Denn Lac braucht Essen, viel Essen, wie er uns wortreich erklärt. Für seine Muskeln. Er will unbedingt zunehmen. Soll er mal ruhig. Ich begnüge mich vorerst mit meinem Salat. Aber dann bestelle ich doch noch meine geliebten vietnamesischen Pfannkuchen mit Tofu, dazu noch Frühlingsrollen. Ok. Schnell folgt noch einen Teller gebratener Reis. Plus einen Kokosdrink. Leute, das Essen hier ist einfach ein Traum. Ich könnte den ganzen Tag lang NUR essen. Wir schmausen vergnügt und ignorieren den plärrenden Lautsprecher und die etwas, bescheiden formuliert, lahme Bedienung. Der Ausblick ist beeindruckend. Leise rauschende Wellen, sanft blinkende Lichter und schwarzes Meer weit und breit, wo kein Plastemüll mehr zu sehen ist. Man riecht ihn allerdings, wenn man ein paar Meter weit geht. Aber all das ist in dem Moment nicht wichtig, denn das Essen nimmt uns komplett in Anspruch.
„Cola Light, Madame???“ wirbt ein kleines Mädchen neben mir mit geübtem Augenaufschlag. Ich schüttel den Kopf und zeige wortlos auf meinen vietnamesischen Kaffee, inzwischen mein Standardgetränk. Starker schwarzer Kaffee mit viel Eis und extrem überzuckerter Kondensmilch. Nicht vegan, ich weiß, ich weiß. Aber er rettet inzwischen jeden Abend mein Leben und ich mag ihn nicht mehr missen. Die Kleine erzählt irgendetwas und verschwindet dann zum nächsten Tisch. Es folgt ein blinder Mann mit seinem kleinen Sohn und einem schwerem Rosenstrauß. Rosenverkäufer gibts also auch in Vietnam, und nicht nur in hippen Prenzlauer Berg Restaurants. Okay. Der Blinde zerrt seinen Sohn weiter und ich sehe zu, dass ich schnell ein Taxi bekomme.
Die Jungs wollen noch etwas bleiben und am Strand entlang laufen, ich hingegen möchte zurück ins Hotel. Meine Fotos warten. Ich segne mich für meine Entscheidung, denn urplötzlich öffnet sich der Himmel und minutenlanger schwerer Regen verwandelt die Gegend in ein Wassermeer. Der freundliche Taxifahrer fährt mich fast bis an die Haustür meiner Unterkunft und ich bedanke mich bei ihm mit reichlich Trinkgeld. „Cám Òn!“ Ich bedanke mich überschwenglich und bemühe mich um korrekte Aussprache.
Im Vietnamesischen gibt es allein sechs verschiedenen Tonhöhen, ich glaube, fünf allein davon werden mit einem speziellen Zusatzzeichen zum Hauptvokal in einer Silbe dargestellt, laut wikipedia. Mein Gehör und ich arbeiten noch daran, dies unterscheiden zu lernen, und vor allem daran, die verschiedenen Tonhöhen mit den anderen zu kombinieren. Aber ersteinmal begnüge ich mich mit dem wohl wichtigsten Wort, nämlich dem hiesigen „Danke“, welches ein wenig wie das Wort „Gambe“ ausgesprochen wird. Also für meine europäisch genormten Ohren zumindest. Ich gehe davon aus, dass der Taxifahrer es versteht, denn er lacht und öffnet mir die Tür. Ich renne los und schaffe es noch im halbtrockenen Zustand in mein Zimmer. Die Kamera ist trocken geblieben und ich mache mich gleich an die Arbeit, Bilder des Tages auswählen, bearbeiten, hochladen, fertig. Verdammt, das dauert. Mir fallen die Augen zu und ich beschließe, den Blog am nächsten Tag weiter zu schreiben. Bin ja immerhin im Urlaub.
Dem Ngon!
Beeindruckend! Ich fahre jetzt zu den Mädels!